Anlagenzertifizierung: Das müssen Sie bei Ihrem Gewerbe-PV-Projekt beachten
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Aktualisiert am:
14.8.2025
Bevor eine Photovoltaikanlage oder ein Batteriespeicher Strom ins Netz einspeisen darf, muss sie eine Reihe von technischen und rechtlichen Vorgaben erfüllen. Die Anlagenzertifizierung ist der wichtigste Nachweis dafür, dass das System die Sicherheit und Stabilität des Stromnetzes nicht gefährdet. Ohne diese Zertifizierung kann der Netzanschluss verweigert werden.
In diesem Artikel erfahren Sie, welche Anlagen ein Zertifikat benötigen, was genau geprüft wird, wie der Prozess abläuft und welche Kosten dabei entstehen.
Was ist die Anlagenzertifizierung und wer braucht sie?
Die Zertifizierung bestätigt, dass eine Anlage und ihre Komponenten den technischen Standards für einen sicheren und effizienten Betrieb am Stromnetz entsprechen. Sie stellt sicher, dass das System richtig geplant, installiert und angeschlossen wurde. In Deutschland regeln die VDE-AR-N Normen die Anforderungen an den Netzanschluss:
VDE-AR-N 4105 (Niederspannung): Gilt für kleinere Anlagen. Sie sind oft von der Zertifizierungspflicht befreit oder benötigen nur vereinfachte Nachweise.
VDE-AR-N 4110 (Mittelspannung): Relevant für die meisten gewerblichen Anlagen, die aufgrund ihrer Größe an dieses Netz angeschlossen werden.
VDE-AR-N 4120 (Hochspannung): Gilt für sehr große Anlagen mit einer Leistung ab 950 kW.
Wann müssen Anlagen zertifiziert werden?
Durch das Solarpaket I, das am 17. Mai 2024 in Kraft trat, wurden die Schwellenwerte für die Zertifizierung deutlich angehoben. Das Ziel ist es, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen und den bürokratischen Aufwand zu senken.
Befreite Anlagen: Neu ist, dass Photovoltaikanlagen und Batteriespeicher mit einer Einspeiseleistung von bis zu 270 kW von der Pflicht zur Vorlage eines Anlagenzertifikats befreit sind. Diese Ausnahmeregelung gilt jetzt für alle Spannungsebenen und ist besonders relevant für gewerbliche Projekte mit hohem Eigenverbrauch, da der teure und zeitintensive Zertifizierungsprozess entfällt. Für diese Anlagen genügen die Einheitenzertifikate der Komponenten (z. B. Wechselrichter und Speicher) gemäß VDE-AR-N 4110, auch wenn die Anlage selbst nach den vereinfachten Regeln der VDE-AR-N 4105 gebaut wird.
Anlagenzertifikat Typ B: Dieses Zertifikat ist für Anlagen mit einer Einspeiseleistung von 270 kW bis 950 kW erforderlich. Es handelt sich um ein vereinfachtes Zertifikat, das die Konformität der Anlage auf Basis von Planungsunterlagen und Komponenten-Zertifikaten bestätigt.
Anlagenzertifikat Typ A: Dieses vollständige Zertifikat wird für alle Anlagen mit einer Einspeiseleistung von über 950 kW benötigt. Hier sind die Anforderungen besonders streng, da diese Großanlagen einen erheblichen Einfluss auf die Netzstabilität haben.
Wichtig bei kombinierten Systemen: Besteht die Energielösung aus einer PV-Anlage und einem Batteriespeicher, wird für die Zertifizierung die Summe der Einspeiseleistungen beider Komponenten herangezogen. Erreicht die Gesamtleistung die Schwelle von 270 kW, wird ein Zertifikat fällig. Ein Beispiel: Eine PV-Anlage mit 200 kW Einspeiseleistung und ein Speicher mit 100 kW Einspeiseleistung benötigen zusammen ein Anlagenzertifikat Typ B, da die kombinierte Leistung von 300 kW die Schwelle überschreitet.
Was genau wird bei der Anlagenzertifizierung geprüft?
Die Prüfung zielt darauf ab, das netzstabilisierende Verhalten der Anlage zu sichern. Das wird dabei unter die Lupe genommen:
Wirkleistungsabgabe und -regelung: Es wird getestet, wie die Anlage ihre Wirkleistung, also den tatsächlich nutzbaren Strom, in Abhängigkeit von der Netzfrequenz abgibt. Bei Frequenzänderungen muss die Anlage in der Lage sein, die Leistung nach Vorgabe des Netzbetreibers anzupassen, um die Frequenz zu stabilisieren.
Blindleistungsregelung: Blindleistung ist entscheidend für die Spannungshaltung im Netz. Die Zertifizierung überprüft, ob die Anlage Blindleistung bereitstellen oder aufnehmen kann, um Schwankungen der Netzspannung auszugleichen. Getestet wird der sogenannte Stellbereich (der verfügbare Regelbereich) und die korrekte Umsetzung von Sollwertvorgaben des Netzbetreibers.
Dynamische Netzstützung (FRT): Unter der Bezeichnung Fault Ride Through (FRT) wird geprüft, ob die Anlage bei einem kurzzeitigen Spannungseinbruch im Netz nicht sofort abschaltet. Stattdessen soll sie aktiv zur Netzstabilisierung beitragen, indem sie zum Beispiel Blindstrom liefert, um die Spannung wieder anzuheben. Dies ist eine zentrale Anforderung, um Stromausfälle zu vermeiden.
Netzrückwirkungen: Hier wird analysiert, welche Auswirkungen die Anlage auf die Qualität des Stromnetzes hat. Dazu gehören schaltbedingte Spannungsschwankungen, sogenannte Oberschwingungen, die die Netzsinusform verzerren. Die Netzsinusform ist die ideale, wellenförmige Kurve der elektrischen Wechselspannung. Störungen können diese Form verzerren, was Geräte beschädigen oder zu Netzverlusten führen kann. Ein weiteres Phänomen ist der Flicker, der als Helligkeitsschwankungen von Lampen wahrgenommen werden kann.
Schutzsysteme und Ausführung der Anlage: Überprüft werden unter anderem die Funktion des EZE- und EZA-Schutzes (Schutzsysteme für die Erzeugungseinheiten und die gesamte Anlage) sowie die Kurzschluss- und Dauerstromfestigkeit der Anlage. Auch die Kommunikations- und Steuerungstechnik wird unter die Lupe genommen, um die Fernsteuerbarkeit durch den Netzbetreiber sicherzustellen.
Der Ablauf der Zertifizierung: Phasen und Fristen
Der Zertifizierungsprozess ist ein mehrstufiger und dokumentenintensiver Vorgang, der sich in drei Phasen unterteilen lässt:
1. Planungsphase
Hier wird das Anlagenzertifikat erstellt. Es ist ein "Zertifikat auf dem Papier", das auf Basis der Planungsdokumente (Schaltpläne, Regelungskonzepte) und der Herstellerzertifikate der Komponenten erstellt wird. Es bestätigt die theoretische Eignung der Anlage. Dieses Dokument muss in der Regel zwei bis zwölf Wochen vor der geplanten Inbetriebnahme bei dem zuständigen Netzbetreiber eingereicht werden.
2. Inbetriebsetzungsphase
Nach der erfolgreichen Installation muss eine Inbetriebsetzungserklärung (IBSE) erstellt werden. Sie bestätigt, dass die Anlage exakt so gebaut wurde, wie im Planungszertifikat beschrieben. Die IBSE bildet die Grundlage für die Konformitätserklärung (KE), welche die endgültige Bestätigung der Konformität darstellt. Erst nach Vorlage der KE, die spätestens 12 Monate nach Inbetriebnahme vorliegen muss, erteilt der Netzbetreiber die endgültige Betriebserlaubnis.
3. Übergangsregelung "Anlagenzertifikat unter Auflage"
Um den Prozess zu beschleunigen, gibt es eine befristete Übergangsregelung bis zum 31. Dezember 2025. Diese erlaubt eine vorläufige Inbetriebnahme, auch wenn das vollständige Zertifikat noch nicht vorliegt. Die fehlenden Nachweise müssen dann innerhalb von 18 Monaten nachgereicht werden. Verpasst man diese Frist, kann die Anlage vom Netz getrennt werden.
Eine Übersicht über die Anforderungen an die jeweiligen Anlagengrößen
Zertifizierung von Batteriespeichern: Mehr als nur der Netzanschluss
Während Batteriespeicher in Bezug auf den Netzanschluss denselben Regeln unterliegen wie PV-Anlagen, gibt es für sie eine Reihe zusätzlicher und spezifischer Anforderungen. Die Grenzwerte und Fristen für die netztechnische Zertifizierung sind identisch: Zertifizierungsfrei sind Speicher mit einer Einspeiseleistung von unter 270 kW, während für größere Anlagen ein Anlagenzertifikat Typ B oder Typ A erforderlich ist. Auch die Fristen für die Einreichung von Nachweisen und die Nutzung der Übergangsregelung sind die gleichen wie bei PV-Anlagen.
Allerdings ist die Zertifizierung von Batteriespeichern komplexer, da sie auch als potenzielles Sicherheitsrisiko betrachtet werden. Neben den netztechnischen Vorgaben der VDE-Normen müssen sie vor allem strenge Sicherheitsnormen wie die VDE-AR-E 2510-2 erfüllen, die den Brand-, Explosions- und Stromschlaggefahren vorbeugen.
Zusätzlich spielt die EU-Batterieverordnung eine immer wichtigere Rolle. Sie regelt nicht nur die technischen Aspekte, sondern auch die Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft der Batterien. Dazu gehören die Offenlegung des CO₂-Fußabdrucks, die Einhaltung von Mindeststandards bei der Kapazität und der Lebensdauer sowie eine umfassende Rückverfolgbarkeit der Materialien. Die Zertifizierung stellt hier also nicht nur die Netzkonformität, sondern auch die Sicherheit und die Einhaltung ökologischer Standards sicher.
Die fünf häufigsten Fallstricke auf dem Weg zu Zertifizierung und wie man sie vermeidet
Unvollständige Unterlagen: Dies ist der häufigste Grund für Verzögerungen. Fehlende Datenblätter, ungenaue Schaltpläne oder unvollständige Regelungskonzepte führen oft zu Rückfragen, die den Prozess unnötig in die Länge ziehen.
Zu späte Einbindung: Wenn die Zertifizierungsstelle erst am Ende der Planungsphase hinzugezogen wird, können Fehler im Konzept übersehen werden. Solche Fehler müssen dann nachträglich korrigiert werden, was sehr teuer werden kann.
Fehlende Kommunikation: Eine mangelhafte Abstimmung zwischen Planer, Installateur und Netzbetreiber kann zu Missverständnissen und fehlenden Informationen führen. Ein klarer Kommunikationsfluss ist entscheidend.
Technische Planungsfehler: Hierzu zählen direkt sicherheits- oder netzrelevante Fehler. Beispiele sind die falsche Dimensionierung von AC-Kabeln, fehlerhafte USV-Berechnungen oder der Einbau unpassender Schutzgeräte. Diese Mängel müssen behoben werden, bevor die Anlage die Zertifizierung erhalten kann.
Falsche oder nicht registrierte Komponenten: Die verwendeten Komponenten müssen über gültige Zertifikate verfügen und im ZEREZ-Register eingetragen sein. Fehlende Registrierungen, insbesondere bei Wechselrichtern oder Batteriespeichern, sind ein häufiger Grund für die Verweigerung des Netzanschlusses.
Um diese Fallstricke zu vermeiden, sollte man die Zertifizierung so früh wie möglich in das Projekt integrieren und die Zusammenarbeit mit erfahrenen Experten suchen.
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