xx
Minuten
Aktualisiert am:
14.11.2025
Die Energiewende ist in vollem Gange: Täglich gehen neue Wind- und Solarparks ans Netz, um unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden. Allein im Jahr 2024 wurde laut der Bundesnetzagentur die installierte Leistung in Deutschland um knapp 20 Gigawatt (GW) erneuerbarer Energien erhöht. Davon entfielen über 16 GW auf Photovoltaik – eine Steigerung von rund 15 % gegenüber dem bereits rekordverdächtigen Vorjahr. Doch mit jedem neuen Megawatt Leistung wächst auch die Belastung für die Stromnetze, denn Erneuerbare Energien werden meist dezentral produziert und sind volatil.

Der Ausbau der Netzinfrastruktur ist nicht nur extrem teuer und langwierig, sondern wird aktuell auch zum Flaschenhals der gesamten Energiewende. Der Grund dafür liegt oft in der gängigen Bauweise: Um die wenigen Stunden der maximalen Stromerzeugung abdecken zu können, werden PV- oder Windanlagen bislang mit einem Netzanschluss, der die kurzen Spitzenzeiten abdeckt. Während Kosten und Dauer für den Ausbau quasi linear zur Größe sind, nimmt der Grenznutzen extrem ab.
Denn in den meisten Fällen wird die volle Anschlussleistung – wenn überhaupt – nur extrem selten benötigt. Selbst eine nach Süden ausgerichtete PV-Anlage mit einer theoretischen Leistung von 1.000 kW wird nur in ganz wenigen Stunden im Jahr auch wirklich annähernd 1.000 kW liefern. Und in diesen wenigen Stunden wird sie vermutlich abgeregelt, da entweder das Netz überlastet ist und/oder die Strompreise zu der Zeit ins Negative gefallen sind. Die Konsequenz: Wir bauen teure Anschlüsse für Spitzenleistungen, die selten bis nie vollgenutzt werden.
Ist die aktuell gängige 1:1-Dimensionierung von Erzeugungsleistung und Netzanschluss noch zeitgemäß? Wir glauben: Es gibt einen smarteren Weg.
Der Schlüssel liegt in einem Konzept, das im Englischen als Overplanting oder Oversizing bekannt ist und im Deutschen als Netzüberbauung bezeichnet wird. Die bisherige Praxis sieht vor, dass ein Solarpark mit 50 MW installierter Leistung auch einen 50-MW-Netzanschluss erhält. Die Netzüberbauung bricht mit diesem Standard: Bei der Netzüberbauung wird die Anschlussleistung bewusst und strategisch auf einen Wert unter der installierten Erzeugungsleistung reduziert (z. B. 25 MW Anschluss für 50 MW Solarpark).
Der Kerngedanke ist ein pragmatischer: Zwar wird die Anlage dann, wenn sie ihre vollen 50 MW erreichen könnte, auf 25 MW gedrosselt. Diese Spitzenleistung wird aber ohnehin nur selten erreicht, da negative Strompreise das Abregeln zu Spitzenzeiten oft wirtschaftlicher machen, oder Anlagen bei einer Netzüberlastung abgeschaltet werden. Gerade in Deutschland, mit einem hohen Anteil an Solarstrom, verhält sich der Strompreis invers zum Solarertrag. Wird viel Solarstrom erzeugt sinken die Preise. So sind die Spitzenzeiten vom Solarertrag in der Regel auch Zeiten, in denen es insgesamt ein Überangebot an Strom gibt.
Eine Netzüberbauung würde also einige Leistungsspitzen von Erzeugungsanlagen kappen, aber eben primär zu Zeiten, in denen ein Überangebot an Strom herrscht. Ein Großteil des erzeugten Stroms kann – insbesondere in Zeiten niedriger solarer Erzeugung – weiterhin sicher und zuverlässig eingespeist werden.
Die strategische Reduzierung der Anschlussleistung bietet Vorteile, die weit über die Anlagenebene hinausgehen und die Energiewende beschleunigen können:
Trotzdem bringt das Modell der Netzüberbauung auch Herausforderungen mit sich. Der offensichtlichste Nachteil: die gleiche Anlage liefert weniger Strom. In den Stunden, in denen die Anlage die Anschlusskapazität tatsächlich überschreitet, wird die überschüssige Erzeugung abgeregelt. Dieser „verlorene“ Strom wird als Curtailment bezeichnet. Die Kosteneinsparung muss diesen Ertragsverlust über die gesamte Lebensdauer der Anlage überwiegen.
Darüber hinaus sind die aktuellen Netzanschlussregeln primär auf die 1:1-Auslegung der Anschlusskapazität ausgelegt, weshalb neue Planungs- und Betriebsprozesse notwendig sind, um diese dynamische, gedrosselte Einspeisung korrekt zu managen.
Grundsätzlich wird die Netzüberbauung von Verteilnetzbetreibern aber positiv gesehen, da sie zur Entlastung der Netze beiträgt. Die Netzbetreiber müssen weniger Kapazität für seltene Spitzenlasten vorhalten, was die Komplexität und die Kosten beim Netzausbau reduziert.
Damit die Netzüberbauung erfolgreich und wirtschaftlich ist, ist eine detaillierte Planung entscheidend. Bei der Auslegung muss besondere Rücksicht auf Wetterdaten genommen werden. Wie oft werden am spezifischen Standort die Spitzenleistungen tatsächlich erreicht? Nur eine präzise Analyse der Einstrahlungs- bzw. Windverhältnisse und Strompreise ermöglicht die Bestimmung des optimalen Curtailment-Levels – der Punkt, an dem die Kapitalkosten-Ersparnis den Ertragsverlust maximiert.
Der beste Weg, um den Nachteil der gekappten Erträge zu eliminieren, ist die Ergänzung der Erzeugungsanlage durch Speicher. Statt den Strom abzuregeln und zu "verschwenden", wird die überschüssige Energie in Batterien zwischengespeichert. Dieser gespeicherte Strom kann dann eingespeist werden, wenn er wirklich gebraucht wird – also zu Zeiten hoher Nachfrage oder in den Abendstunden.
Eine weitere Option eröffnet sich durch die Planungen für die Marktintegration von Speichern und Lasten (MiSpeL) der Bundesnetzagentur. Speicher sollen sich künftig nicht darauf beschränken, nur den selbst erzeugten Überschuss abzufangen, sondern können auch zur Einspeicherung von Graustrom verwendet werden, ohne dass der Grünstrom seine EEG-Privilegien verliert. Sie können nachts oder zu Zeiten extrem günstiger Preise (z. B. bei viel Windstrom) Energie direkt aus dem Netz einspeichern und mit diesem dann die Morgenstunden überbrücken, in denen die PV-Anlage keinen Strom liefert. Das verbessert die Wirtschaftlichkeit der Anlage weiter.
Das Fazit: Die Zukunft liegt in der intelligenten Kombination: Netzüberbauung für maximale Kosteneffizienz, ergänzt durch strategisch eingesetzte Speicher, um den Wert der erneuerbaren Energien zu maximieren. Trotzdem ist die Netzüberbauung ist kein Ersatz für den notwendigen Netzausbau, aber sie ist ein intelligentes, pragmatisches und komplementäres Werkzeug, um Engpässe zu überwinden und die Geschwindigkeit der Energiewende zu erhöhen.

Erfahren Sie alles zum Thema atypische Netznutzung – von den grundlegenden Voraussetzungen bis zur Antragstellung
Umfassende Erklärung von Atypik
Maßnahmen zur Umsetzung
Schritt-für-Schritt Anleitung für die Antragstellung